Forschungsstipendium ‚Kritik im Widerstreit‘

Der geistes- und kulturwissenschaftliche Forschungsschwerpunkt Aufklärung – Religion – Wissen (ARW), der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angesiedelt ist, schreibt zum 1.10.2025 ein einjähriges Forschungsstipendium für Postdocs zum Thema ‚Kritik im Widerstreit‘ aus.

Der Forschungsschwerpunkt widmet sich der historischen Aufklärung und ihrem Fort- und Nachleben bis in die Gegenwart, deren Selbstverständnis durch eine Vielzahl von Vorstellungen und Begriffen geprägt ist, die auf die Aufklärung zurückgehen. Dazu gehört nicht zuletzt das Konzept der „Kritik“, das in der Aufklärung erstmals emphatisch formuliert wurde, lange das Selbstverständnis der Geistes- und Kulturwissenschaften prägte und aktuell wieder intensiv diskutiert wird – und zwar gerade in seinen politischen Implikationen. Denn Kritik ist immer zugleich eine Form der Wissensproduktion und eine politische Praxis – und in dieser Verbindung so zentral wie prekär mit dem demokratischen Zusammenleben verbunden. Die aktuell vielfach diskutierte Krise der Demokratie, so die Annahme des Schwerpunkts, ist daher auch eine Krise der Kritik und zugleich der richtige Moment, nach deren Form und Status zu fragen. In diesem Zusammenhang steht auch das hier ausgeschriebene Stipendium.

Wo steht Kritik heute, was vermag sie noch und wie muss man sie anders denken? Welche Praxisformen verbinden sich mit ihr, was bedeutet sie in verschiedenen Feldern – der Politik, der Kunst, der Öffentlichkeit –, wie verschiebt sie sich unter neuen medialen Bedingungen und welche politische Bedeutung hat sie dabei jeweils? Denn gerade heute steht die Kritik selbst in der Kritik: Sie sei elitär, erschöpft und überholt, verteidige partikulare Interessen und diene mehr der Selbstinszenierung als der Sache. Besonders beunruhigend erscheint dabei, dass kritische Argumente scheinbar problemlos von ihren Gegnern angeeignet werden: Heute werden im Namen der ‚Freiheit‘ Denkverbote, im Namen der ‚Gleichheit‘ Ausschlüsse und im Namen der ‚Kritik‘ fragwürdige Dogmen verkündet. Was bleibt von der Kritik, wenn man sie nicht ganz aufgeben will, aber den Glauben an eine „Kritik der kritischen Kritik“ (Marx) aufgegeben hat? Viele der Hintergrundannahmen der aufklärerischen Kritik scheinen nur noch bedingt tragbar: ihre Identifizierung mit der Vernunft, die Bezeichnung aller möglicher nicht nur intellektueller Tätigkeiten als Kritik, die selbstverständliche Voraussetzung, kritisches Denken und kritisches Handeln würden koinzidieren. Insbesondere ihre politischen Voraussetzungen und ihre reflexhafte Identifizierung mit der liberalen Demokratie und der deliberativen Öffentlichkeit erscheinen angesichts der Neigung zu Polemik, Hyperkritik und Skandalisierung fraglich. Was kann an deren Stelle treten, wie und wo werden die Grenzen und Möglichkeiten der Kritik verhandelt und welche neuen Formen der Kritik werden dabei entworfen?

Das Stipendium soll dazu dienen, gemeinsam mit anderen in ARW beteiligten Wissenschaftler*innen politische Figurationen der Kritik zwischen Vereinnahmung und Verabschiedung zu untersuchen und zu diskutieren. Bewerber*innen sollten ein wissenschaftliches (auf eine Aufsatzpublikation zielendes) Projekt vorschlagen und in diesem Rahmen eine wissenschaftliche Veranstaltung ausrichten und organisieren; auch begleitende Formate wie Lesungen, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, Führungen etc. sind denkbar und im Rahmen von ARW-Mitteln finanzierbar.

Das Stipendium beträgt € 2.200,- monatlich, zzgl. evtl. Familienzuschläge. Ein Arbeitsplatz wird zur Verfügung gestellt; Sachmittel zur Durchführung o.g. Veranstaltungen oder Publikationen sind vorhanden. Die Ausschreibung erfolgt vorbehaltlich haushaltsrechtlicher Beschränkungen.

Eingeladen zur Bewerbung sind promovierte Wissenschaftler*innen aus den Geistes- und Kulturwissenschaften mit besonderem Interesse an politischer Theorie. Bitte reichen Sie Motivationsschreiben, Lebenslauf, Publikationsverzeichnis sowie ein kurzes Exposé von ca. drei Seiten ein, das Ihren Zugriff auf das Thema skizziert und eine mögliche Veranstaltung entwirft. Bitte schicken Sie Ihre Bewerbung bis zum 28.6. an margitta.drosdziok@arw.uni-halle.de. Weitere Informationen bei robert.buch@arw.uni-halle.de.

Jenseits des Gerichtshofs: Alternative Imaginationen moderner Öffentlichkeit, 20.–22. November 2025

Jahrestagung des Forschungsschwerpunktes „Aufklärung – Religion – Wissen“ der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Organisiert von Theo Jung und Daniel Weidner
Seit einigen Jahren ist wieder vermehrt von der Krise der Öffentlichkeit die Rede. Filterblasen und Fake News, enthemmte Beschimpfungen und Cancel Culture werden als Symptome eines Zerfalls, einer Auflösung oder Funktionsstörung von Öffentlichkeit diskutiert – freilich auch selbst in der Öffentlichkeit diskutiert, die hier gewissermaßen über sich selbst zu Gericht sitzt. Doch was ist diese Öffentlichkeit eigentlich? Wie stellen wir sie uns vor, wie beschreiben wir sie und welche Folgerungen ziehen wir daraus? Die aktuelle Krisendiagnose bietet Anlass für eine kritische Genealogie, denn das Gefühl der Krise könnte nicht zuletzt auch darauf beruhen, dass bestimmte, langfristig tragende Imaginationen der Öffentlichkeit heute brüchig geworden sind. Ein solcher Moment lädt zu neuen Reflexionen ein über die Frage, was Öffentlichkeit war, ist und sein könnte – und verweist dabei auch auf Spuren, die seit der Konstitutionsphase moderner Öffentlichkeiten gelegt, aber nicht weiterverfolgt wurden.

Mit Beiträgen von Elke Dubbels, Simone Jung, Nils Kumkar, Uta Lohmann, Christian Harun Maye, Patrick Primaviesi, Kirk Wetters u.a.

«Zwangloser Zwang» oder literarische «Vernichtung»? Aufklärung, Öffentlichkeit, Polemik, 10.7.2025

Workshop am IZEA (Halle)
Organisiert von Demian Berger und Daniel Weidner

Bekanntlich situieren sich die Briefe, die neueste Literatur betreffend im Kontext des Siebenjährigen Krieges: Als Briefe an einen verwundeten Offizier vorgestellt, greifen sie selbst gerne zu bellizistischen Metaphern und inszenieren sich als «Streitgespräche» oder literarische «Feldzüge». Die literarische Öffentlichkeit, zu deren Entstehung sie entscheidend beitragen, changiert daher von vornherein zwischen einer angenommenen Allgemeinheit des Publikums – jetzt nicht mehr der gelehrten, sondern der gebildeten Welt – und den scharfen Grenzen und Ausschlüssen, die polemisch gezogen werden. Diese Spannung – gewissermaßen die Spannung von Vernunft und Gewalt – wird oft mit dem polemischen Geist Lessings assoziiert, reicht aber viel weiter. Schon sein Nachfolger Thomas Abbt setzt den kämpferischen Duktus der Literaturbriefe fort. Abbt, Professor für Philosophie und Mathematik, Schüler der Baumgarten-Brüder und Georg Friedrich Meiers, war mit einer patriotischen Kriegsschrift berühmt geworden und arbeitete später an einer allgemeinen Theorie des Publikums – und verkörperte gerade deshalb für Nicolais Organ die Idealbesetzung, auch als Polemiker. Mit den «ganz schlechten Schriftstellern», heißt es in einer von Abbts Rezensionen, werde er sich nicht abgeben, «aber unter den schlechten stehen noch die elenden; und wann einer von diesen (der Himmel gebe, dass es nur einer sey) etwas drucken lässt, und gerade so viele Leser erhält, als ihn bewegen kann, auch noch einen zweyten Theil zum Druck zu befördern; so verdient der Mann bemerkt zu werden, nicht um ihn zu bessern, sondern um seine Leser zu beschämen.“ Der Workshop nimmt die Konstellation der Literaturbriefe und den heute in der Forschung wenig beachteten Abbt im Besonderen zum Ausgangspunkt um nach der Rolle und Funktion der Polemik in der Konstitution aufklärerischer Öffentlichkeit zu fragen.

Programm
14-15:30
Demian Berger (Zürich): Zum Verhältnis von Aufklärung und Polemik. Am Beispiel der Literaturkritik Abbts
Jakob Heller (Halle): „Wenn unsere Weltweisen die Schuletiqutte vergessen“. Zum Verhältnis der Literaturbriefe zur universitären Kritik.

16-17:30
Oliver Grütter (Zürich): Kontroverser Ciceronianismus: Heinze, Abbt und Herder
Na Schädlich (Halle): Übungsgelände der Stilkritik. Wolf, Schopenhauer und Nietzsche über Polemik in der deutschen Spätaufklärung

18:00-19:00
Daniel Weidner: Federkriege, Kritik und Polemik im Rahmen der ‚aufgeklärten Öffentlichkeit‘
Abschlussdiskussion

Zukunftsorte, 24.6.2025

Workshop, organisiert von Christian Drobe
Georg Forster Haus, Emil Abderhalden Str. 7a
Im Rahmen der Seminarreihe „Imaginationen der Zukunft“

 Die ‚Zukunft‘ wie wir sie heute kennen, begann sich als Kategorie seit dem späten 18. Jahrhundert konzeptionell auszudifferenzieren. Kosellecks Diagnose der Kollektivsingulare trifft auch hier zu und ermöglicht eine Untersuchung der verschiedenen geschichtsphilosophischen Konzepte, die seither den Begriff füllen. Diese Vorstellungen sollen im Workshop in Schwerpunkt in Richtung einer Topographie verschoben werden: Auch Zukünfte sollen ortsgebunden und spezifisch gedacht werden.

Die Idee der Zukunftsorte lehnt sich an Pierre Noras Konzept der Erinnerungsorte an und greift auf Überlegungen von Alexander Geppert und Tilman Siebeneicher zurück. Sie bezeichnet zunächst konkrete Orte die sich im Alltag der Menschen manifestierten und der gleichzeitig imaginative Räume eröffneten, in denen Zukunft ausgehandelt wird und wurde. Dabei scheinen sie im Gegensatz zu Erinnerungsorten zunächst eher physisch konkret und nicht metaphorisch zu funktionieren Aber sie legen auch eine sinnliche Begegnung mit der Zeit und der Zukunft nahe. An ihnen kreuzen sich Zukunftsvorstellungen mit technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen, beide materialisieren sich in Räumen und Objekten, und sie haben selbst wieder eine Geschichte und werden zu Orten vergangener Zukunft. Zukunftsorte sind in diesem Sinne Orte des Zukunft-Machens, an denen die Zukunft als Ergebnis zutage tritt und an denen weitere Aushandlungen von Zukunft initiiert werden können.

Programm

14:00 Uhr Begrüßung NN

14:15 Uhr

Stefan Willer: „Aussicht, Übung, Divination. Zukunftskonzepte bei Schleiermacher“

15:00 Uhr

Rüdiger Graf: „Krise, Sicherheit und Risiko. Zur Topologie zentraler Zukunftsbegriffe im 20. und 21. Jahrhundert“

15:45 Uhr: Kaffeepause

16:15 Uhr

Lucian Hölscher: „Präsentische Zukunftsbegriffe der letzten Jahrzehnte“

17:00 Uhr

Abschlussdiskussion & Fragenkatalog

18:30 Uhr: Gemeinsames Abendessen

CfP: Forum Literatur und Religion Kritik der Religion. Literatur als Medium der Religionskritik, 11.-12. September 2025

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Organisiert von Florian Scherübl und Daniel Weidner

Religionskritik ist heute ein wenig aus der Mode gekommen – und das ist nicht neu. Schon Karl Marx´ Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie beginnt mit ihrer Verabschiedung: „Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt“. Marx setzt allerdings fort „und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“. Dabei ist „Voraussetzung“ hier nicht nur im historischen Sinn zu verstehen. Kritik überhaupt gibt es nach der Kritik der Religion und sie ist ‚wie‘ die Kritik der Religion. Dabei treten Kritik und Religion in ein komplexes Verhältnis. Letztere ist selbst nicht einfach Gegenstand der Kritik, sondern so etwas wie ihr Vorläufer: Religion ist für Marx nicht nur „Opium des Volkes“, sondern auch „Seufzer der bedrängten Kreatur“. „Kritik der Religion“ ist damit nicht nur Kritik an der Religion, sondern auch Kritik der Religion am Elend. So entsteht ein komplexes Feld von Verschiebungen und Inversionen. In ihm situieren sich die verschiedenen Metaphern der Kritik: das Opium und der Seufzer, später der Fetischismus und die verkehrte Welt.

Die diesjährige Summer School Literatur und Religion nimmt dieses Feld zum Anlass, um über das Verhältnis von Religion und Literatur im Zeichen der Kritik nachzudenken. Wir laden junge ForscherInnen ein, ihre Projekte – Dissertationsvorhaben, Postdoc-Projekte und andere Ideen – in diesem Kreis gemeinsam zu diskutieren. Dabei soll vom doppelten Genitiv ausgegangen und eine Kritik an der Religion ebenso wie die Kritik durch die Religion thematisiert werden. Hier interessieren die rhetorischen Inversionen, Kontrapositionen, Metaphern und Narrative, mit denen Kritik gedacht und erzählt wird. Dabei ist davon auszugehen, dass das Verhältnis von Schein und Wirklichkeit, von Fiktion und Realität auch eminent etwas mit der Literatur zu tun hat oder umgekehrt: dass sich Literatur in der Konstellation von Religion und Kritik produktiv lesen lässt. Dass Religionskritik Sache der Literatur sein kann, mit Stil- und Formfragen zusammenfällt und gar zum Medium von Religionskritik werden kann, deutet Ende des 19. Jahrhunderts jedenfalls Friedrich Nietzsches Diktum aus der Götzen-Dämmerung an: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben…“

Tatsächlich hatten literarische Texte und Praktiken schon immer etwas mit der Kritik der Religion zu tun. Karnevalistische Parodien religiöser Texte und Rituale begleiten diese immer schon und stehen neben religiös grundierten Satiren der Narrheit der verkehrten Welt oder neben Narrativen wie dem Exodus oder der kommenden Erlösung, an die eine Kritik der bestehenden Verhältnisse anschließen kann. Im Welttheater verbinden sich nicht nur Ritual und Spiel, sondern ihre reflexive Verdoppelung kann auch Distanz zur Religion oder zum Theater erzeugen. Und gerade in der Neuzeit wandert eine einmal religiös motivierte Idolatrie-Kritik dann auch in die Poetik ein und verkompliziert diese durch die Zweifel an der Mimesis, durch mystische Impulse, durch allegorische Verrätselung oder umgekehrt durch die kalkulierte Exuberanz der Bilder und Worte. Spätestens mit der Aufklärung verdoppelt sich dabei auch die Kritik an der Religion in eine Kritik am Aberglauben einerseits, der die Zeichen für die Sache nimmt, am Enthusiasmus andererseits, der ganz auf Zeichen verzichten will – und es versteht sich, dass beide Kritiken und erst recht ihre Verbindung zu komplexen semiotischen und ästhetischen Reflexionen führen.

Mit der modernen Literatur werden dann auch Begriff und Konzept der ‚Kritik‘ zentral für das Literatursystem – mit auffälliger Nähe zur Religion, sind doch die kritischen Kontroversen bei Lessing, Heine und sogar noch Karl Kraus oft auch religiöse Kontroversen. Auch neu entstehende Formen lassen sich im Spannungsfeld der Kritik der Religion lesen. Der Bildungsroman enthält fast immer auch eine religiöse – oder antireligiöse – Entwicklungsgeschichte; das historische Erzählen wie auch das Drama greifen breit auf religiöse Stoffe zurück und unterziehen diese teilweise der Kritik oder nutzen sie auch dazu, die Gegenwart zu kritisieren wie bei Hebbel, Droste-Hülshoff oder Hofmannsthal; die Lyrik schafft ihre eigenen Epiphanien, so bei Benn, Rilke oder Baudelaire, und positioniert sich damit auf unterschiedliche Weisen zur Religion wie zur Kritik. Für manche wird die Dichtung selber zu einer Art Religion mit allem, was dazugehört: dem Dienst am Wort und der Verkündigung, der frommen Andacht und der Sektenbildung wie etwa im George-Kreis.

Ein literarisch geschulter Blick erlaubt so auch, die Geschichte der Religionskritik neu zu lesen. Das betrifft etwa die komplexen Schreibweisen dieser Kritik: das Spiel mit den Masken, aber auch die Rhetoriken der Selbstermächtigung, die mit ihr einhergehen sowie der Konstruktion von Traditionen, die ihre eigenen Mythen und Heroen haben. Überdeterminiert ist diese Geschichte auch dadurch, dass das Konzept der Religion selbst ein kritisches ist: Es entsteht in der Aufklärung aus der Kritik an kirchlichen und konfessionellen Partikularismen, ist aber vielleicht nicht so neutral und interesselos wie es scheint. Noch der Tod Gottes, wie Hegel und Nietzsche von ihm sprechen, ist eine christliche Figur, die keineswegs neutral ist, und jüngst betonen eine postsäkulare Kritik oder Dekonstruktionen des Monotheismus, dass auch die Unterscheidung von Religiösem und Säkularem, mit der die Religionskritik operiert, eine westliche hegemoniale Konstruktion ist. Welche Rhetoriken, Bilder und Narrative in diesen Diskursen entwickelt worden sind und wie sich diese in literarische Texte einschreiben, ist ein wichtiges Thema unseres Forums.

Aber auch die Kritik durch die Religion ist oft literarisch interessant und bringt rhetorisch wirksame Bußpredigten ebenso hervor die Reflexionen über die ‚Dialektik‘ religiöser Mitteilung. Auch lässt sich das oben erwähnte rhetorische Feld der Kritik – das ja selbst, bei Feuerbach, zu weiten Teilen der Inversion der lutherischen Theologie entstammte –, auch weiter hochschrauben zu einer radikalen theologischen Religionskritik, die sich nun gegen das ‚bürgerliche‘ Verständnis von Religion richtet, das sie selbst zum „Unglauben“ erklärt, zum „Gipfel der Humanität – im bedrohlichen Doppelsinn des Wortes“ (Karl Barth). Schon bei Marx und dann wieder in den verschiedenen kritischen Theorien des 20. Jahrhunderts wird diese Metakritik dann auch gegen die Kultur als solche in Anschlag gebracht wird – man denke etwa an Paul Tillichs Theologie der Kultur, an den frühen Siegfried Kracauer oder an Walter Benjamins und Theodor W. Adornos Hinweise auf das Messianische. Wenn die Religion, so Feuerbach, der „Traum“ des menschlichen Geistes ist, dann kann man vielleicht die Phantasmagorien der Spätmoderne ebenfalls nur verstehen, wenn man sie religiös betrachtet und religiös kritisiert.

Von hier aus lässt sich die Frage nach der Kritik der Religion auch umdrehen und nach der Religion der Kritik fragen: Was glaubt eigentlich die Kritikerin, woraus speist sich der Fanatismus des Kritikers? Gehören sie zu einer oder gar zu zwei Sekten? Welche Affekte und gegebenenfalls Ressentiments treiben die Kritik an, Aggression oder Abwehr, Gerechtigkeit oder Wille zur Macht, Mistrauen, Unbehagen? Welche Sprechpositionen werden dabei eingenommen und was macht das jeweils möglich? Bleibt die Kritik das Credo der Moderne oder hat sich mit der Religion auch die Kritik erledigt und ist nun missionslos, nur noch Gespenst ihrer selbst? Und wenn sich aktuell die Zeichen mehren, dass die Kritik ihren Glauben an sich verloren hat, wie Bruno Latour nahelegte: Was folgt darauf?
In der Summer School werden wir zwei Tage gemeinsam in intensiver Diskussion verbringen. Wir lesen einige vorher zirkulierte Texte aus dem Bereich der Kritik der Religion. Der Schwerpunkt besteht in der Diskussion der eingereichten Forschungsprojekte in einer kritischen, aber wertschätzenden und konstruktiven Atmosphäre.

Interessierte junge ForscherInnen sind eingeladen, Exposés ihrer Forschungsprojekte (ca. 5 Seiten) und/oder ein Vortragsabstract (ca. 2 Seiten) einzureichen. Bitte schicken Sie Ihr Exposé oder Abstract sowie ein CV oder ein paar Zeilen zu Ihrem akademischen Werdegang bis zum 17.5. an florian.scheruebl@germanistik.uni-halle.de. Die Auswahl der TeilnehmerInnen erfolgt bis Ende Mai.
Die Kosten für die (innerdeutsche) Reise sowie den Aufenthalt werden erstattet. Bei Interesse kann der Beitrag in einem gemeinsamen Band oder Heftschwerpunkt veröffentlicht werden.

Christian Drobe, Postdoc ARW: Vortrag „Die Zukunft der Industriefotografie? Offene Fragen und Möglichkeiten“

13. April 2025, Halloren- und Salinemuseum, Halle

J Henry Fair: 3814-001, Stadt direkt am Braunkohletagebau Jüchen, Deutschland, 29.04.2010 https://www.instagram.com/jhenryfair/

Vortrag zum Tag der Industriekultur in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Ausstellungspräsentation ‚Nach den Maschinen. Industriefotografie aus Sachsen-Anhalt‘ in der Saline.
Der Tag der Industriekultur verbindet ein ganzes Land im Zeichen der Industrie. Vielfältige Orte, Personen und Ereignisse werden am Tag der Industriekultur im ganzen Land präsentiert. Die Saline in Halle ist dabei ein wichtiger historischer Knotenpunkt für die städtische Industrie und neuer Zukunftsort für museale Präsentationen und den Austausch mit der Stadtgesellschaft. Die hier zuletzt ausgestellte Industriefotografie kann als wichtiges Medium kultureller Repräsentation gelten und lädt zu weiteren Reflexionen und einem Blick in die Zukunft ein.

Stephan Pabst

Stephan Pabst ist seit 2021 Professor für neue deutsche Literatur an der MLU Halle-Wittenberg. Zu seinen Forschungsgebieten zählen die Wissensgeschichte der Literatur im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, die Geschichte anonymer Autorschaft, die Literatur der Konzentrationslager, DDR- und Gegenwartsliteratur.

Zukunftsorte

‚Zukunftsorte‘ verstehen sich in Anlehnung an Pierre Noras Konzept der Erinnerungsorte, das sowohl konkrete, traditionsbildende Orte umfasst wie auch bestimmte Topoi und moderne Mythen, aus denen sich das kollektive Erinnern speist und an denen es immer wieder neu entsteht. Dementsprechend sind ,Zukunftsorte‘ diejenigen Stellen in der Wirklichkeit, in der Zukunft imaginiert und verhandelt wird. Denn Zukunft ist ja nicht einfach gegeben, sondern wird permanent hergestellt, verhandelt, neu austariert in Appellen und Prognosen, in Wünschen und Ängsten, mit Bildern und HanPlätzen, Projekten, Aktionen, an Namen und Ideen, Versprechen und Vorhersagen. Manchmal sind es Orte, die von vornherein emphatisch Zukunft entwerfen, die das Morgen schon hier und heute vorwegnehmen, die Heilserwartungen inszenieren oder Schrecken an die Wand werfen. Manchmal wächst solchen Orten ihre Zukunft erst im Nachhinein zu, und erst im Rückblick erkennen wir in ihnen den Anfang des Neuen. Immer sind es Orte, an denen Besetzungen und Gegenbesetzungen, Erzählungen und Bilder der Zukunft aufeinandertreffen und miteinander in Dialog treten – einen Dialog, den man beobachten, aber auch fortführen kann, denn jeder dieser Orte kann auch selbst wieder weitere Ideen von Zukunft generieren. Als prominentes Beispiel eines solchen Ortes sei Halle-Neustadt genannt, zu dem es im Wintersemester 2024/25 ein studentisches Projektseminar an der MLU gab. Im Sommersemester 2025 wird das Projekt fortgesetzt, einen ersten Einblick gibt es hier.