Forschungsstipendium ‚Kritik im Widerstreit‘

Der geistes- und kulturwissenschaftliche Forschungsschwerpunkt Aufklärung – Religion – Wissen (ARW), der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angesiedelt ist, schreibt zum 1.10.2025 ein einjähriges Forschungsstipendium für Postdocs zum Thema ‚Kritik im Widerstreit‘ aus.

Der Forschungsschwerpunkt widmet sich der historischen Aufklärung und ihrem Fort- und Nachleben bis in die Gegenwart, deren Selbstverständnis durch eine Vielzahl von Vorstellungen und Begriffen geprägt ist, die auf die Aufklärung zurückgehen. Dazu gehört nicht zuletzt das Konzept der „Kritik“, das in der Aufklärung erstmals emphatisch formuliert wurde, lange das Selbstverständnis der Geistes- und Kulturwissenschaften prägte und aktuell wieder intensiv diskutiert wird – und zwar gerade in seinen politischen Implikationen. Denn Kritik ist immer zugleich eine Form der Wissensproduktion und eine politische Praxis – und in dieser Verbindung so zentral wie prekär mit dem demokratischen Zusammenleben verbunden. Die aktuell vielfach diskutierte Krise der Demokratie, so die Annahme des Schwerpunkts, ist daher auch eine Krise der Kritik und zugleich der richtige Moment, nach deren Form und Status zu fragen. In diesem Zusammenhang steht auch das hier ausgeschriebene Stipendium.

Wo steht Kritik heute, was vermag sie noch und wie muss man sie anders denken? Welche Praxisformen verbinden sich mit ihr, was bedeutet sie in verschiedenen Feldern – der Politik, der Kunst, der Öffentlichkeit –, wie verschiebt sie sich unter neuen medialen Bedingungen und welche politische Bedeutung hat sie dabei jeweils? Denn gerade heute steht die Kritik selbst in der Kritik: Sie sei elitär, erschöpft und überholt, verteidige partikulare Interessen und diene mehr der Selbstinszenierung als der Sache. Besonders beunruhigend erscheint dabei, dass kritische Argumente scheinbar problemlos von ihren Gegnern angeeignet werden: Heute werden im Namen der ‚Freiheit‘ Denkverbote, im Namen der ‚Gleichheit‘ Ausschlüsse und im Namen der ‚Kritik‘ fragwürdige Dogmen verkündet. Was bleibt von der Kritik, wenn man sie nicht ganz aufgeben will, aber den Glauben an eine „Kritik der kritischen Kritik“ (Marx) aufgegeben hat? Viele der Hintergrundannahmen der aufklärerischen Kritik scheinen nur noch bedingt tragbar: ihre Identifizierung mit der Vernunft, die Bezeichnung aller möglicher nicht nur intellektueller Tätigkeiten als Kritik, die selbstverständliche Voraussetzung, kritisches Denken und kritisches Handeln würden koinzidieren. Insbesondere ihre politischen Voraussetzungen und ihre reflexhafte Identifizierung mit der liberalen Demokratie und der deliberativen Öffentlichkeit erscheinen angesichts der Neigung zu Polemik, Hyperkritik und Skandalisierung fraglich. Was kann an deren Stelle treten, wie und wo werden die Grenzen und Möglichkeiten der Kritik verhandelt und welche neuen Formen der Kritik werden dabei entworfen?

Das Stipendium soll dazu dienen, gemeinsam mit anderen in ARW beteiligten Wissenschaftler*innen politische Figurationen der Kritik zwischen Vereinnahmung und Verabschiedung zu untersuchen und zu diskutieren. Bewerber*innen sollten ein wissenschaftliches (auf eine Aufsatzpublikation zielendes) Projekt vorschlagen und in diesem Rahmen eine wissenschaftliche Veranstaltung ausrichten und organisieren; auch begleitende Formate wie Lesungen, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, Führungen etc. sind denkbar und im Rahmen von ARW-Mitteln finanzierbar.

Das Stipendium beträgt € 2.200,- monatlich, zzgl. evtl. Familienzuschläge. Ein Arbeitsplatz wird zur Verfügung gestellt; Sachmittel zur Durchführung o.g. Veranstaltungen oder Publikationen sind vorhanden. Die Ausschreibung erfolgt vorbehaltlich haushaltsrechtlicher Beschränkungen.

Eingeladen zur Bewerbung sind promovierte Wissenschaftler*innen aus den Geistes- und Kulturwissenschaften mit besonderem Interesse an politischer Theorie. Bitte reichen Sie Motivationsschreiben, Lebenslauf, Publikationsverzeichnis sowie ein kurzes Exposé von ca. drei Seiten ein, das Ihren Zugriff auf das Thema skizziert und eine mögliche Veranstaltung entwirft. Bitte schicken Sie Ihre Bewerbung bis zum 28.6. an margitta.drosdziok@arw.uni-halle.de. Weitere Informationen bei robert.buch@arw.uni-halle.de.