CfP: Forum Literatur und Religion Kritik der Religion. Literatur als Medium der Religionskritik, 11.-12. September 2025

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Organisiert von Florian Scherübl und Daniel Weidner

Religionskritik ist heute ein wenig aus der Mode gekommen – und das ist nicht neu. Schon Karl Marx´ Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie beginnt mit ihrer Verabschiedung: „Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt“. Marx setzt allerdings fort „und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“. Dabei ist „Voraussetzung“ hier nicht nur im historischen Sinn zu verstehen. Kritik überhaupt gibt es nach der Kritik der Religion und sie ist ‚wie‘ die Kritik der Religion. Dabei treten Kritik und Religion in ein komplexes Verhältnis. Letztere ist selbst nicht einfach Gegenstand der Kritik, sondern so etwas wie ihr Vorläufer: Religion ist für Marx nicht nur „Opium des Volkes“, sondern auch „Seufzer der bedrängten Kreatur“. „Kritik der Religion“ ist damit nicht nur Kritik an der Religion, sondern auch Kritik der Religion am Elend. So entsteht ein komplexes Feld von Verschiebungen und Inversionen. In ihm situieren sich die verschiedenen Metaphern der Kritik: das Opium und der Seufzer, später der Fetischismus und die verkehrte Welt.

Die diesjährige Summer School Literatur und Religion nimmt dieses Feld zum Anlass, um über das Verhältnis von Religion und Literatur im Zeichen der Kritik nachzudenken. Wir laden junge ForscherInnen ein, ihre Projekte – Dissertationsvorhaben, Postdoc-Projekte und andere Ideen – in diesem Kreis gemeinsam zu diskutieren. Dabei soll vom doppelten Genitiv ausgegangen und eine Kritik an der Religion ebenso wie die Kritik durch die Religion thematisiert werden. Hier interessieren die rhetorischen Inversionen, Kontrapositionen, Metaphern und Narrative, mit denen Kritik gedacht und erzählt wird. Dabei ist davon auszugehen, dass das Verhältnis von Schein und Wirklichkeit, von Fiktion und Realität auch eminent etwas mit der Literatur zu tun hat oder umgekehrt: dass sich Literatur in der Konstellation von Religion und Kritik produktiv lesen lässt. Dass Religionskritik Sache der Literatur sein kann, mit Stil- und Formfragen zusammenfällt und gar zum Medium von Religionskritik werden kann, deutet Ende des 19. Jahrhunderts jedenfalls Friedrich Nietzsches Diktum aus der Götzen-Dämmerung an: „Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben…“

Tatsächlich hatten literarische Texte und Praktiken schon immer etwas mit der Kritik der Religion zu tun. Karnevalistische Parodien religiöser Texte und Rituale begleiten diese immer schon und stehen neben religiös grundierten Satiren der Narrheit der verkehrten Welt oder neben Narrativen wie dem Exodus oder der kommenden Erlösung, an die eine Kritik der bestehenden Verhältnisse anschließen kann. Im Welttheater verbinden sich nicht nur Ritual und Spiel, sondern ihre reflexive Verdoppelung kann auch Distanz zur Religion oder zum Theater erzeugen. Und gerade in der Neuzeit wandert eine einmal religiös motivierte Idolatrie-Kritik dann auch in die Poetik ein und verkompliziert diese durch die Zweifel an der Mimesis, durch mystische Impulse, durch allegorische Verrätselung oder umgekehrt durch die kalkulierte Exuberanz der Bilder und Worte. Spätestens mit der Aufklärung verdoppelt sich dabei auch die Kritik an der Religion in eine Kritik am Aberglauben einerseits, der die Zeichen für die Sache nimmt, am Enthusiasmus andererseits, der ganz auf Zeichen verzichten will – und es versteht sich, dass beide Kritiken und erst recht ihre Verbindung zu komplexen semiotischen und ästhetischen Reflexionen führen.

Mit der modernen Literatur werden dann auch Begriff und Konzept der ‚Kritik‘ zentral für das Literatursystem – mit auffälliger Nähe zur Religion, sind doch die kritischen Kontroversen bei Lessing, Heine und sogar noch Karl Kraus oft auch religiöse Kontroversen. Auch neu entstehende Formen lassen sich im Spannungsfeld der Kritik der Religion lesen. Der Bildungsroman enthält fast immer auch eine religiöse – oder antireligiöse – Entwicklungsgeschichte; das historische Erzählen wie auch das Drama greifen breit auf religiöse Stoffe zurück und unterziehen diese teilweise der Kritik oder nutzen sie auch dazu, die Gegenwart zu kritisieren wie bei Hebbel, Droste-Hülshoff oder Hofmannsthal; die Lyrik schafft ihre eigenen Epiphanien, so bei Benn, Rilke oder Baudelaire, und positioniert sich damit auf unterschiedliche Weisen zur Religion wie zur Kritik. Für manche wird die Dichtung selber zu einer Art Religion mit allem, was dazugehört: dem Dienst am Wort und der Verkündigung, der frommen Andacht und der Sektenbildung wie etwa im George-Kreis.

Ein literarisch geschulter Blick erlaubt so auch, die Geschichte der Religionskritik neu zu lesen. Das betrifft etwa die komplexen Schreibweisen dieser Kritik: das Spiel mit den Masken, aber auch die Rhetoriken der Selbstermächtigung, die mit ihr einhergehen sowie der Konstruktion von Traditionen, die ihre eigenen Mythen und Heroen haben. Überdeterminiert ist diese Geschichte auch dadurch, dass das Konzept der Religion selbst ein kritisches ist: Es entsteht in der Aufklärung aus der Kritik an kirchlichen und konfessionellen Partikularismen, ist aber vielleicht nicht so neutral und interesselos wie es scheint. Noch der Tod Gottes, wie Hegel und Nietzsche von ihm sprechen, ist eine christliche Figur, die keineswegs neutral ist, und jüngst betonen eine postsäkulare Kritik oder Dekonstruktionen des Monotheismus, dass auch die Unterscheidung von Religiösem und Säkularem, mit der die Religionskritik operiert, eine westliche hegemoniale Konstruktion ist. Welche Rhetoriken, Bilder und Narrative in diesen Diskursen entwickelt worden sind und wie sich diese in literarische Texte einschreiben, ist ein wichtiges Thema unseres Forums.

Aber auch die Kritik durch die Religion ist oft literarisch interessant und bringt rhetorisch wirksame Bußpredigten ebenso hervor die Reflexionen über die ‚Dialektik‘ religiöser Mitteilung. Auch lässt sich das oben erwähnte rhetorische Feld der Kritik – das ja selbst, bei Feuerbach, zu weiten Teilen der Inversion der lutherischen Theologie entstammte –, auch weiter hochschrauben zu einer radikalen theologischen Religionskritik, die sich nun gegen das ‚bürgerliche‘ Verständnis von Religion richtet, das sie selbst zum „Unglauben“ erklärt, zum „Gipfel der Humanität – im bedrohlichen Doppelsinn des Wortes“ (Karl Barth). Schon bei Marx und dann wieder in den verschiedenen kritischen Theorien des 20. Jahrhunderts wird diese Metakritik dann auch gegen die Kultur als solche in Anschlag gebracht wird – man denke etwa an Paul Tillichs Theologie der Kultur, an den frühen Siegfried Kracauer oder an Walter Benjamins und Theodor W. Adornos Hinweise auf das Messianische. Wenn die Religion, so Feuerbach, der „Traum“ des menschlichen Geistes ist, dann kann man vielleicht die Phantasmagorien der Spätmoderne ebenfalls nur verstehen, wenn man sie religiös betrachtet und religiös kritisiert.

Von hier aus lässt sich die Frage nach der Kritik der Religion auch umdrehen und nach der Religion der Kritik fragen: Was glaubt eigentlich die Kritikerin, woraus speist sich der Fanatismus des Kritikers? Gehören sie zu einer oder gar zu zwei Sekten? Welche Affekte und gegebenenfalls Ressentiments treiben die Kritik an, Aggression oder Abwehr, Gerechtigkeit oder Wille zur Macht, Mistrauen, Unbehagen? Welche Sprechpositionen werden dabei eingenommen und was macht das jeweils möglich? Bleibt die Kritik das Credo der Moderne oder hat sich mit der Religion auch die Kritik erledigt und ist nun missionslos, nur noch Gespenst ihrer selbst? Und wenn sich aktuell die Zeichen mehren, dass die Kritik ihren Glauben an sich verloren hat, wie Bruno Latour nahelegte: Was folgt darauf?
In der Summer School werden wir zwei Tage gemeinsam in intensiver Diskussion verbringen. Wir lesen einige vorher zirkulierte Texte aus dem Bereich der Kritik der Religion. Der Schwerpunkt besteht in der Diskussion der eingereichten Forschungsprojekte in einer kritischen, aber wertschätzenden und konstruktiven Atmosphäre.

Interessierte junge ForscherInnen sind eingeladen, Exposés ihrer Forschungsprojekte (ca. 5 Seiten) und/oder ein Vortragsabstract (ca. 2 Seiten) einzureichen. Bitte schicken Sie Ihr Exposé oder Abstract sowie ein CV oder ein paar Zeilen zu Ihrem akademischen Werdegang bis zum 17.5. an florian.scheruebl@germanistik.uni-halle.de. Die Auswahl der TeilnehmerInnen erfolgt bis Ende Mai.
Die Kosten für die (innerdeutsche) Reise sowie den Aufenthalt werden erstattet. Bei Interesse kann der Beitrag in einem gemeinsamen Band oder Heftschwerpunkt veröffentlicht werden.

Christian Drobe, Postdoc ARW: Vortrag „Die Zukunft der Industriefotografie? Offene Fragen und Möglichkeiten“

13. April 2025, Halloren- und Salinemuseum, Halle

J Henry Fair: 3814-001, Stadt direkt am Braunkohletagebau Jüchen, Deutschland, 29.04.2010 https://www.instagram.com/jhenryfair/

Vortrag zum Tag der Industriekultur in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Ausstellungspräsentation ‚Nach den Maschinen. Industriefotografie aus Sachsen-Anhalt‘ in der Saline.
Der Tag der Industriekultur verbindet ein ganzes Land im Zeichen der Industrie. Vielfältige Orte, Personen und Ereignisse werden am Tag der Industriekultur im ganzen Land präsentiert. Die Saline in Halle ist dabei ein wichtiger historischer Knotenpunkt für die städtische Industrie und neuer Zukunftsort für museale Präsentationen und den Austausch mit der Stadtgesellschaft. Die hier zuletzt ausgestellte Industriefotografie kann als wichtiges Medium kultureller Repräsentation gelten und lädt zu weiteren Reflexionen und einem Blick in die Zukunft ein.

Im Streit verstrickt. Schauplätze, Streitweisen und Affektpolitiken aktueller Konflikte

Workshop, 21.-22. November 2024
Ort: Seminarraum, IZP, Franckesche Stiftungen, Haus 24, EG. Franckeplatz 1, 06110 Halle (Saale)

Wir leben, so scheint es, in einer Zeit der Eskalationen. Fast im Tagesrhythmus brechen neue Konflikte auf, denen man sich schwer entziehen kann: von eher klassischen Verteilungs- und Interessenkonflikten zu Deutungskonflikten, die in immer weitere Bereiche ausgreifen und oft als „Kulturkämpfe“ zum Zeichen einer neuen Zeit erklärt werden. Denn diese Kämpfe verstricken auch eigentlich Unbeteiligte und zwingen zu Parteilichkeit. Vermittlung scheint vergeblich, die Antagonismen unauflösbar: es herrscht ,deadlock‘ zwischen unversöhnlichen Positionen. Die Vehemenz unserer aktuellen Kulturkämpfe erzeugt Faszination und Unbehagen. Ihre Polarisierungen versprechen Ordnung in die ehemalige ,neue Unübersichtlichkeit‘ zu bringen, aber sie produzieren zugleich Unruhe und scheinen einer Dynamik zu folgen, deren Effekte sich nur ungefähr übersehen lassen.

Die neuen Streitformen affizieren auch die Kulturwissenschaften. Sie sind betroffen sowohl als Zielscheibe kulturkämpferischer Diffamierung – unter Titeln wie cancel culture, identity politics oder cultural marxism – als auch, in ihrem aktivistischen Flügel, als Akteure im Konflikt, ob im Namen beispielsweise der postcolonial studies oder der environmental humanities. Aber auch der Kulturbegriff selbst ist betroffen. Denn statt als dynamischer Prozess des Austausches, der Verhandlungen und Hybridität erscheint Kultur als Kampfplatz, als Feld agonaler Energien, und steht im Zeichen von Konfrontation und Polemik. Der Workshop, zu dem wir einladen, möchte diskutieren, was die Kulturwissenschaften zum Verständnis dieser Eskalationslogik beitragen können: ihrer Orte und Schauplätze, ihrer Modi und Formen sowie schließlich der ihr zugrundeliegenden Affektpolitiken.

Schauplätze

Sind Kulturkämpfe Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Kulturen oder geht es um die Klärung der Frage nach dem, was eine Gesellschaft als ,ihre‘ Kultur behauptet, was und wer dazugehört und was und wer nicht? Prominentes Beispiel dafür ist der Streit um ,den‘ Islam in vielen westlichen Gesellschaften, der weniger mit dessen Vertretern, sondern größtenteils innerhalb der Mehrheitsgesellschaft geführt wird, in einer Art Selbstgespräch also, das sich im Prinzip um die Frage nach dem Ort der Religion in der Moderne dreht. Auch ein vergleichender Blick drängt sich auf, etwa auf die vielleicht frappierendste gesellschaftliche Polarisierung unserer Tage in den USA. Warum dort? Was bedingt die Virulenz der zwischen den zwei Visionen der Vereinigten Staaten von Amerika geführten Auseinandersetzungen? Inwiefern sind sie paradigmatisch für culture wars in anderen Weltgegenden? Oder sind Kulturkämpfe nicht vielmehr nur historisch und lokal zu verorten und zu verstehen?

Streitweisen

Der Blick auf einige der prominentesten Eskalationsherde unserer Gegenwart wirft Fragen nach Mustern und Typen auf. Gibt es ein Modell – etwa das US-amerikanische Paradigma – oder verschiedene Muster? Wäre es möglich, eine Typologie solcher Konflikte zu entwickeln? Gibt es eine den Antagonismen und ihrer Polemik zugrundeliegende Grammatik und wenn ja, wie ließe sie sich beschreiben? Mit welchen Narrativen arbeiten die kulturkämpferischen Diskurse? Von wo wird gesprochen und in wessen Namen? Mit welche Selbstautorisierungen operieren die Kulturkampf-Skripte? Welche Setzungen und Zuschreibungen werden vorgenommen und welche Ausblendungen und Verkürzungen gehen damit einher? Wer wird eigentlich adressiert und wie? Welche Gegnerschaften und Bündnisse werden konstruiert? Wie enden Kulturkämpfe: mit Erschöpfung, Versöhnung, Umlenkung?

Affektpolitiken

Ideologiekritische Aufklärung über die ,Irrtümer‘ der Streitenden und ihre ‚wahren‘ Motive scheinen heute nicht mehr auszureichen, weil es zunehmend unklar ist, ob sich die Antagonismen auf materielle Interessen zurückführen und so irgendwie befried(ig)en lassen. Die so unversöhnlichen und unvermittelbaren Ansprüche, die in diesen Konflikten aufeinandertreffen, sind ohne Einbeziehung der Affekte, die in ihnen wirksam sind, kaum angemessen zu erfassen. Das Spektrum der dabei gezogenen affektiven Register reicht vom Pathos der gerechten Sache und ihrer endgültigen Durchsetzung zum Ressentiment der Gekränkten und Erniedrigten, das schon Nietzsche als zentrale Ressource politischer Mobilisierung erkannt hat. Wir erleben, so scheint es, die Rückkehr politischer Leidenschaften, erhabener wie niederer, von Empörung über Zorn zu Fanatismus, auf die Bühne der Öffentlichkeit, verstärkt und gesteigert durch die sozialen Medien. Aber der eruptive und gewaltsame Charakter ihrer Wiederkehr sollte nicht über den Anteil von Inszenierung und Kalkül hinwegtäuschen, die dabei mit im Spiel sind und deren Logik oder Rationalität näher zu beschreiben wären.

Nach einer Tagung über den historischen Kulturkampf des 19. Jahrhunderts, die 2021 an der Katholischen Akademie in Berlin stattfand und deren Ergebnisse kürzlich als Band erschienen sind, sowie einer zweiten Tagung, die wir im Januar dieses Jahres im Rahmen des Forschungsschwerpunkts Aufklärung – Religion – Wissen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg organisiert haben, soll die dritte Veranstaltung zum Thema, eine Tagung an der Universität Halle, die gegenwärtigen Eskalationsdynamiken aus verschiedenen disziplinären Perspektiven in den Blick nehmen und dabei zugleich auch als methodische Herausforderung reflektieren.

PROGRAMM

Donnerstag, 21.11.2024

13.00 Begrüßung und Einleitung

13.30-15.30

Prof. Dr. Magdalena Marszalek, Potsdam: Die Unfähigkeit zu streiten. Streitkultur und gesellschaftliche Polarisierung

Dr. Julia Nitz, Halle: Kulturkampf in den USA: Muster und Dynamiken in historischer Perspektive

15.30-16.00 Pause

16.00-18.00

Dr. Aletta Diefenbach, Berlin: Affektpolitiken der duldenden Toleranz und der eigenen kulturellen Vielfalt. Wie die Neue Rechte über Religion streitet

Prof. Dr. Jörg Dierken, Halle: Sakralisierter Moralismus

18.00-18.30 Pause

18.30-19.30

Prof. Dr. Niels Werber, Siegen: Populäre Konflikte

Freitag 22.11.2024

9.00-11.00

Prof. Dr. Jürgen Brokoff, Berlin: Ressentiment und die Figur des (kämpfenden) Außenseiters: Botho Strauß

Neela Janssen, Wien/Halle: Feuilletonistischer Aufreger oder identitätspolitisches Sprachrohr? Simon Strauß‘ Debüt Sieben Nächte

11.00-11.30 Kaffeepause

11.30-13.30

Dr. Johannes Franzen, Siegen: Der vergiftete Paratext. Die Person des Künstlers als kontroverser Störfaktor

Dr. Johanna-Charlotte Horst, Halle: #tradwife. Kritik einer Lebensform

Große und kleine Zukünfte. Gespräch und Lesung, Literaturhaus Halle

4. November 2024, 19 Uhr

Die Autorin Verena Keßler und der Literaturwissenschaftler Stefan Willer diskutieren, wie das ‚kleine Leben‘ weitergehen kann, wenn die Frage des Weiterlebens im Großen und Ganzen zur Debatte steht. In ihrem Roman Eva (Hanser, 2023) verbindet Verena Keßler auf erzählerisch komplexe Weise Fragen von Mutterschaft mit solchen nach allgemeinen Zukunftsängsten. Dabei gelingt es ihr, „die unerträgliche Gleichzeitigkeit von Apokalypse und Nachwuchs in wunderbare Literatur“ zu verwandeln (Marlene Knobloch, Süddeutsche Zeitung).

Die Veranstaltung ist Teil des Projektes „Imaginationen der Zukunft“ – eine Kooperation der Stadt Halle und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, gefördert vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft.

Vergangene Zukünfte — Ausstellungseröffnung, Lesung und Diskussion

Silber Salz Festival, Passage 13, 28. 10., 18 Uhr (Ausstellungseröffnung) und 1. November 2024, 19 Uhr (Lesung und Diskussion)

„(Vergangene) Zukünfte“ ist das Leitthema, unter dem sich Germanistikstudierende der Universität Halle und Bewohner*innen von Halle-Neustadt zusammengefunden haben.
In einem gemeinsamen Gespräch mit Studierenden, untersetzt mit Lesungen von zeithistorischen literarischen Texten kommen Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart miteinander in Dialog.
Die Veranstaltung ist Teil des Projektes „Imaginationen der Zukunft“ – eine Kooperation der Stadt Halle und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, gefördert vom Stifterverband.

Besuch aus der Zukunft

Silber Salz Festival, Kaufhaus, 1. OG, Marktplatz, Halle, 2. November, 14.15-15.30

Niemand kann die Zukunft voraussagen und doch beschäftigt sie uns. Aber obwohl sie uns beschäftigt und auch unser Verhältnis zur Gegenwart beeinflusst, sind wir nicht besonders gut darin, uns die Zukunft vorzustellen. Um diesem Missstand abzuhelfen, haben wir einen Besuch aus der Zukunft organisiert. Damit bietet sich eine einmalige Gelegenheit, aus erster Hand etwas über unsere Zukunft zu erfahren und gemeinsam zu fragen, welche Zukunft wir eigentlich wollen. Die Veranstaltung ist hervorgegangen aus dem Projekt „Imaginationen der Zukunft“, eine Kooperation der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Stadt Halle, gefördert vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft. Robert Buch vom Landesforschungsschwerpunkt Aufklärung, Religion, Wissen an der MLU im Gespräch mit Simon Mohn, Reinventing Society / Realutopien.de

Konfession – Literarische Subjektivierung und Kulturelle Differenz

Forum Literatur und Religion 2024
18.-19. Oktober 2024 Leucorea, Wittenberg
Organisiert von Karl Tetzlaff und Daniel Weidner

Bekennen, Bekenntnisse und Konfessionen sind eng aufeinander bezogen: Sie stellen gleichzeitig Formen kultureller und sozialer Klassifizierung dar, die tief in die Individuen hineinreichen, und Sprechakte der Subjektivierung, die wiederum in Dispositive der Äußerung und textuelle Überlieferungen eingebettet sind. Gerade Literatur wurde lange – und vielleicht bis heute – stark in konfessionellen Zusammenhängen produziert und konsumiert und hat nicht selten konfessionelle Zugehörigkeiten verhandelt. Zugleich arbeiten literarische Texte an den Formen des Bekennens, die immer schon zwischen Sprechakt und Schrift, Intimität und Öffentlichkeit, Subjekt und Norm angesiedelt sind. Als Diskursritual betrachtet, entspringen solche Bekenntnisse gerade jenem Raum zwischen kultureller Ordnung und subjektiver Äußerung, der auch der Raum der Literatur ist. Das diesjährige Forum Literatur und Religion diskutiert literarische Strukturen in religiösen und literarischen Bekenntnistexten ebenso wie die literarische Inszenierung und Konstruktion von Konfessionen und das Nachleben konfessioneller Praktiken und Denkmuster.

Programm

Freitag 18.10.

9-10:30
Begrüßung, Erste Lektüre: Michel Foucault, aus: Der Wille zum Wissen

11-13
Sonja Pyykkö
Mysteries of Form.  Fiction from the Modern to the Postmodern Period

Noelle Miller
Das postmoderne Testament. Autofiktion als Geständnis bei Michel Houellebecq

13:00 Mittagspause, Führung durch die Schlosskirche Wittenberg

15:00-17
Martin J. Kudla
Ein „jüdisches Bekenntnis“. Margarete Susmans Hiobbuch

Tilman Asmus Fischer
Der „priesterliche Dienst“ des Schriftstellers. Erkundungen zu religiösen Dimensionen im Werk Carl Zuckmayers und ihrer Rezeption im Kontext der Theologie Karl Barths

17:30 -19:30
Zweite Lektüre: Luther über die Buße

Christine Marianne Schoen
Die Confessio Bohemica. Ein literarisches Meisterwerk als Grundlage innerevangelischer Einigungen im 16. und 20. Jahrhundert

Samstag 19.10.

9-11
Stefan Schrader
„Und kehrt in Geistes freud die truebsal dieser zeit“. Literarische Konzeptionen von conversio in der geistlichen Dichtung Catharina Regina von GreiffenbergsF

Felix Kraft
Interkonfessionelle Gattungspraxeologie. Das moderne Geistliche Lied als romantisches Kooperationsprojekt

11:30-12:30
Dritte Lektüre Theodor Reik, aus: Strafbedürfnis und Geständniszwang

12:30-14:00 Mittagspause

14:00-16:00
Mirjam Wulff
Literarische Bekenntnisse zum Katholizismus bei Hugo Ball und zeitgenössische Vergleiche

Manuel Stübbecke
„Und ich hätte nichts zu bereuen“. Unterwerfung (2015) im theologischen Blick von Reue und Vergebung

16:30-18:00
Alexander Kappe:
Freundes- und Mentorenfiguren in Bekenntnistexten von Augustinus, Goethe und Dostojewksi

Abschlussdiskussion

Weitere Informationen

Transformation in den Kulturwissenschaften. Bestandsaufnahme und Perspektiven

Workshop¸Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 7. und 8. November 2024, Ort: Dozentenbibliothek Zivilrecht, Thomasianum Raum 15

Organisiert von Stephan Pabst und Daniel Weidner im Rahmen des Transformationslabors „Imagination der Zukunft“, eine Kooperation des Forschungsschwerpunkts „Aufklärung, Religion, Wissen“ und der Stadt Halle, gefördert vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft.

Transformationen sind immer auch kulturelle Prozesse. Denn nicht nur technische, wirtschaftliche, gesellschaftliche oder ökologische Verhältnisse verändern sich heute grundlegend, sondern auch die Art, wie wir die Welt sehen und beschreiben und wie wir die Veränderung selbst vorstellen und erleben. Gerade wo Transformation nicht einfach als vorhersehbare Optimierung, planbare Anpassung oder als geschichtlich notwendige Veränderung gedacht wird, sondern als tiefgreifender Prozess mit offenem Ausgang, sind diese kulturellen Elemente besonders wichtig und müssen beständig reflektiert werden. Die Geistes- und Kulturwissenschaften als Spezialisten für Bilder, Erzählungen und Deutungen können daher entscheidend dazu beitragen, Transformationsprozesse zu verstehen, im öffentlichen Gespräch zu verankern. Die Tagung reflektiert dieses Potential und diskutiert damit auch, wie Perspektiven aus den Kultur- und Geisteswissenschaften stärker als bisher zur Profillinie „Transformation“ der Universität und Perspektivisch auch zum „Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ beitragen können.

Ob Institutionen, in komplexen ökologischen Systemen oder in gesellschaftlichen Zusammenhängen – Transformationen wirken nur breit und nachhaltig, wenn sie von einem kulturellen Wandel begleitet werden. Denn es geht stets nicht nur um die Optimierung komplexer Prozesse in großen Zusammenhängen, sondern auch um die Veränderungen von Handlungsweisen und Bewertungen, nicht zuletzt auch um die Ziele, die mit den jeweiligen Transformationen gesetzt sind. Denn solche Veränderungen produzieren Affekte, Wünsche, Hoffnungen oder Enttäuschungen, die einen enormen Einfluss auf deren (politische) Gestaltung haben: Ob Transformationen gelingen, hängt auch davon ab, wie sie dargestellt und wahrgenommen werden.

Radikaler gedacht, ist Kultur nicht nur ein Element der Transformation, sondern sie ist – transkulturell–selbst immer ein Transformationsprozess: In ihrer kulturellen Produktion, in Erzählungen, Bildern, Ritualen setzt sich die Gesellschaft immer schon mit Veränderungen auseinander, wenngleich diese Veränderungen gesellschaftlich oft unter anderen Begriffen verhandelt wurden, dem des Fortschritts, der Revolution, der Evolution oder der Wende. Dementsprechend haben sich Geistes- und Kulturwissenschaften immer schon mit diesem Wandel beschäftigt, sei es, dass sie als historische Kulturwissenschaften ohnehin die Entwicklungs- und Veränderungsprozesse der Vergangenheit untersuchen, sei es, dass sie die Resonanzen aktueller Transformationen in Texten und Praktiken der Gegenwartskultur befragen, in denen – so die zu diskutierende Hypothese – solche Veränderungen in besonderer Weise signifikant werden.

In beiden Fällen verbindet sich das auch mit der Frage, wie solche Prozesse überhaupt – von Akteuren, Beobachtern, der Wissenschaft selbst – vorgestellt werden: als Bruch oder Kontinuität, als Erneuerung, Verschiebung, Revolution, ‚Wende‘ etc. Dazu gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Transformation‘ selbst, der von Polanyi seinen Ausgang nahm und Geltung zunächst spezifisch für das späte 19. und 20. Jahrhundert beanspruchte. Seine Renaissance in Deutschland war stark an den Prozess des Systemwechsels in den vormals sozialistischen Staaten geknüpft, also an die Abgrenzung von anderen Begriffen – der Wende, der friedlichen Revolution, während er in den vergangenen Jahren stärker auf technische, ökologische oder ökonomische Veränderungsprozesse angewandt wurde.

Die Veranstaltung will über die Rolle der Kulturwissenschaften für die Erforschung der Transformation insbesondere in Bezug auf folgende Fragen diskutieren:
• Wie werden kulturwissenschaftlich Prozesse der Transformation beschreiben und was leistet das für die Profillinie der Universität?
• Wie wird über Transformation gedacht und gesprochen, wie lässt sich eine Kultur der Transformation denken und praktizieren?
• Wie verhält sich die Rede von der Transformation zu anderen Vorstellungen von Wandel, Entwicklung, Wende und welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?
• Wie ist mit der politischen Dimension des Transformationsbegriffs und dessen spezifischer Geschichte seit 1989 umzugehen?
• Welche Forschungsfelder kultureller Transformation sind an der MLU besonders ausgeprägt und wie lassen die sich vernetzen?

Programm

Donnerstag 7. November 2024

14-15:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht, Thomasianum Raum 15)

  1. Paulina Gulińska-Jurgiel: Selbstentmachtung oder Selbstermächtigung? Tranformationsparlamente im Vergleich
  2. Stephan Pabst: Kotransformationen. Der ‚Osten‘ in Transformationserzählungen der Bundesrepublik
  3. Till Kössler: Ein Erfolgsmodell? Spaniens Übergang zur Demokratie nach 1975

16-17:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht)

  1. Franziska Heller:  „So stellt sich KI Sachsen-Anhalt vor…“ Digitale Bildtransformationen und die Funktionalisierung des Imaginären
  2. Daniel Cyranka: „Hinduism was Theosophy in practice (Gandhi)“. Esoterikforschung und Globale Religionsgeschichte
  3. Erik Redling: „Or does it explode?“ Zeitgenössische afroamerikanische Dramen im Zeitalter von Black Lives Matter

18:15 (Hörsaal II, Emil Abderhaldenstr. 28) Podiumsdiskussion:
Kulturwissenschaftliche Transformationsforschung
Ina Dietzsch, Raj Kollmorgen, Daniel Weidner, Moderation Christine Fürst

Freitag, 8. November, 9:00-10:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht)

  1. Katrin Berndt „Failures of Futures Past“. Fortschrittserzählungen und ihre Leerstellen in der britischen Gegenwartskultur
  2. Friedemann Stengel: Humanismus. Transformationen, Kritik, Perspektiven
  3. Daniel Fulda: Wie viel und welche Zukunft können wir uns vorstellen? Social Imagining als Thema der Kulturwissenschaften

11:00-12:30 (Dozentenbibliothek Zivilrecht)

  1. Andreas Pecar: Revolution ohne Transformation? Die Englische Revolution im Spiegel der Forschung
  2. Daniel Weidner: „Sag mir, wer Du bist“. Transmigrationsgeschichten in der deutschen Gegenwartsliteratur
  3. Theo Jung: Zeitgeist. Ein Transformationsbegriff zwischen Gegenwartsdiagnose und Gespensterglaube

Workshop Sephardische Aufklärung

16.-18. September 2024

Workshop des BMBF-Projekts „Sephardische Aufklärung im nordafrikanischen und levantinischen Kontext des sich modernisierenden Islam“

Local Knowledge Production and Translocal Connectedness – Sephardic Entanglements of Movement and Space

The biographies of Jews under Muslim rule have often been characterized by great -voluntary or involuntary – mobility. This dispersal facilitated the exchange of ideas, languages, and cultural practices, contributing to the rich tapestry of Jewish history and the development of distinct Jewish communities in various locations. This Jewish significance of place was aptly investigated by methods typically associated with the spatial turn in particular in the last two decades. As such space was not utilized as a container of traditions but construed as a local activity of people, goods, institutions or concepts and symbols which produce social order beyond the discursive plain (Lefebvre 1974).

But what has not yet received sufficient attention in research are the unforseen effects that border-crossings – cultural, geographical, political – have on the traveler’s making sense of the respectively local order of things on a variety of levels: hermeneutics, institutions, values, symbols, ideas etc. As a result of this creative tension or conflict between what they bring in and what they encounter on site their understanding of whole books can undergo fundamental transformations – occasionally abrupt and even downright illogical (e.g. from
today’s perspective). After the arrival of the Sephardim from Spain in North Africa, for example, they felt obliged to write substantial additions to the books of their own Sephardic Halakhah („taqanot megurshei kastilia be-fez“) – additions which were ultimately codified as a product of their new environment as well. We suggest that these dynamics which are highly characteristic for the transregional history of the Jews in the mediterranean – in the Middle Ages no less than in the period from the 17th to the 20th century – can be effectively
tracked down by the method of translocality (Freitag 2019).

This awareness and focus on local dynamics between both transgression and some kind of local order enables historiography to free itself from eurocentric, monolithic concepts such as „culture“, „tradition“, „enlightenment“, „secularization“, „pre-modernity“ or „modernity“ which become dispensable in favor of more fluid models of cultural encounter. The north-south historiography is replaced by a south-south historiography. Furthermore
the translocal approach might account for a differentiation between different perspectives of the actors – local people, migrants or observers. Last but not least, this method is characterized by a sociological and economical sensitivity. Thus the methodological multiperspectivity of translocality is still able to view or account for locality as socioculturally „produced“.

The workshop wants to engaging presentations steered in the direction of a collective conversation providing initial answers to the following questions: What is the relationship between real and imagined places, such as „al-Andalus“ or „Babylon“? How can observers‘ and actors‘ perspectives on the same phenomena be equally included in research? How can different scales of consideration be linked together? How can different disciplinary definitions of a concept (e.g. network) be combined with each other? How exactly does a locally predefined concept (e.g. Nahda) interfere with the local order as soon as it migrates? etc. etc.