Ein Workshop zu John Guillorys Professing Criticism
30. Januar 10-17 Uhr, Georg-Forster-Haus
Seit einigen Jahren gibt es in den Literaturwissenschaften, vor allem im englischsprachigen Raum, aber auch beispielsweise in Frankreich, eine Debatte um ,Kritik‘ und ihre Rolle für das Selbstverständnis der Literaturwissenschaften. Die Debatte betrifft das Verhältnis von (Literatur-)Kritik und Literaturwissenschaft, Fragen von Literatur und Öffentlichkeit, und nicht zuletzt den Anspruch der Literaturwissenschaft auf gesellschaftliche und politische Wirksamkeit und Relevanz, mit anderen Worten, ihren Anspruch, eine kritische Instanz gesellschaftlicher Selbstreflexion zu sein. So legitim eine solche Ambition scheinen mag, so fraglich ist indes, ob und wie die Literaturwissenschaften sie einlösen.
Im anglophonen Raum wurden vor nunmehr zehn Jahren in einem viel rezipierten Buch der australischen Literaturwissenschaftlerin Rita Felski auf die Grenzen der Kritik – The Limits of Critique hieß ihr Buch (University of Chicago Press, 2015) – bzw. einer sich vor allem als ,kritisch‘ verstehenden Literaturwissenschaft hingewiesen. Felski und ihre Mitstreiterinnen plädierten dafür, Literatur wieder in ihren positiven, ja affirmativen Funktionen für Leser und Leserinnen in den Blick zu nehmen und so die Distanz zwischen Literaturwissenschaft und einer außerakademischen Leserschaft zu überbrücken.
Die jüngste Intervention in die Debatte um Grenzen und Potentiale einer sich als kritisch und damit auch politisch verstehenden Literaturwissenschaft stammt von dem amerikanischen Anglisten John Guillory. In Professing Criticism (University of Chicago Press, 2022) zeichnet er zum einen die Etablierung der Literaturwissenschaft als akademischer Disziplin nach: ihre Entstehung aus, aber auch Abgrenzung von der Literaturkritik, ihr Verhältnis zu Vorgängern wie Philologie und Belles Lettres, sowie zu Alternativen wie beispielsweise die Literaturgeschichtsschreibung. Zum anderen fragt Guillory nach dem Wandel des Literaturbegriffs, nach der Herausforderung der Disziplin durch die Erweiterung ihres Gegenstands zu ,Weltliteratur‘ und schließlich nach den Möglichkeiten und Ansätzen, die Kluft und Entfremdung zwischen der akademischen und nicht-akademischen Auseinandersetzung mit Literatur zu überwinden.
Im Workshop werden einzelne Aspekte von Guillorys Studie vorgestellt und kritisch diskutiert. (Professing Criticism sollte als E-Book über den Bibliothekskatalog der Universität zugänglich sein. Einzelne Kapitel sind auf Anfrage erhältlich. Kontakt: robert.buch@germanistik.uni-halle.de)
Freitag, 30. Januar 2026
Ort: Georg-Forster-Haus, Emil-Abderhalden-Straße 7a, 06108 Halle (Saale)
10.00-12.00
Robert Buch (Halle), Kritik als Beruf/Bekenntnis zur Kritik (Kapitel 2: Professing Criticism)
Jenny Willner (München), Kritik und Postkritik (Kapitel 3: Critique of Critical Criticism)
Mittagspause
13.15-15.15
Daniel Weidner (Halle), Philologie und Belles Lettres als ,gescheiterte‘ Vorläufer der Literaturwissenschaft (Kap. 6 Two Failed Disciplines: Belles Lettres and Philology)
Jobst Welge (Leipzig), Das Curriculum dekolonisieren und die Frage transnationaler Literatur (Kap. 8, The Contradictions of Gobal English)
Kaffeepause
15.30-16.30
Erika Thomalla (München), Naives Lesen? (Kap. 12 The Question of Lay Reading)
16.30-17.00 Abschlussdiskussion
Seit einigen Jahren ist wieder vermehrt von der Krise der Öffentlichkeit die Rede. Filterblasen und Fake News, enthemmte Beschimpfungen und Cancel Culture werden als Symptome eines Zerfalls, einer Auflösung oder Funktionsstörung von Öffentlichkeit diskutiert – freilich auch selbst in der Öffentlichkeit diskutiert, die hier gewissermaßen über sich selbst zu Gericht sitzt. Doch was ist diese Öffentlichkeit eigentlich? Wie stellen wir sie uns vor, wie beschreiben wir sie und welche Folgerungen ziehen wir daraus? Die aktuelle Krisendiagnose bietet Anlass für eine kritische Genealogie, denn das Gefühl der Krise könnte nicht zuletzt auch darauf beruhen, dass bestimmte, langfristig tragende Imaginationen der Öffentlichkeit heute brüchig geworden sind. Ein solcher Moment lädt zu neuen Reflexionen ein über die Frage, was Öffentlichkeit war, ist und sein könnte – und verweist dabei auch auf Spuren, die seit der Konstitutionsphase moderner Öffentlichkeiten gelegt, aber nicht weiterverfolgt wurden.